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André Stern: ...und ich war nie in der Schule

André Stern:

„Während meiner Kindheit geschah alles wie von selbst und lächelnd.

Wenn ich mich an meinen Alltag erinnere, bestehend aus Spielen und Begegnungen, erscheint er mir wie ein breiter, fruchtbringender Strom.

Gewiss liegt hier mein Fundament: Ich war ein glückliches Kind voller Begeisterung. Ich verlor weder Zeit noch Energie mit dem Lösen fremdauferlegter Rätsel – diese täglichen Eindringlinge im Leben der Schüler.

Für mich sind Lernen und Spiel Synonyme.

So verliefen meine Tage friedvoll und harmonisch.

Mein typischer Wochenablauf umfasste neben den improvisierten Stunden viele regelmäßige Tätigkeiten, denen ich mich allwöchentlich oder in einem anderen Turnus widmete. Die Tage waren sehr ausgefüllt, doch frei von Stress und Konkurrenzdenken, ohne Leistungsdruck und den Kampf um gute Noten.“

 

Genau so beschreibt André Stern seine Kindheit, sein Lernen zu Hause.

Mich hat dieses Buch sehr berührt. Ganz deutlich wird aufgezeigt, wie sich ein Kind entwickeln, wie es optimalst seine Fähigkeiten und Talente zum Vorschein bringen kann, obwohl oder gerade weil es nie eine Schule besuchte.

Indem André sich jederzeit selbst entscheiden konnte, womit er sich beschäftigen wollte, lernte er in sehr kurzer Zeit sehr viel. Ob es sich um Lokomotiven, Autos, Mathematik, Zauberei oder Hieroglyphen handelte, stets hatte er die Möglichkeit, so lange und so intensiv in die jeweilige Materie einzutauchen, wie er wollte. Von seinen Eltern, die diesem Prozess sehr vertrauten, wurde er begleitet, jedoch nie bewertet.

Hier wären wir auch schon bei dem Thema, um das es mir geht: mit Freude und Leichtigkeit lernen. Sich selbst die Frage stellen dürfen: „Was fasziniert mich gerade? Womit möchte ich mich jetzt beschäftigen?“ Hat man die Möglichkeit, hier nach seinem Bauchgefühl, nach seiner Freude zu handeln, dann saugt man förmlich alles ein, was das Thema betrifft und will noch mehr wissen. So funktioniert Lernen. Ich denke, das kann man mit Lernen im herkömmlichen Sinn nicht vergleichen. Das Schöne daran ist, dass man aus dem eigenen Wollen heraus und in entspanntem Zustand Erlerntes auch nicht mehr vergisst.

Nun möchte ich keinesfalls die Schule schlechtmachen oder jedem raten, sein Kind nicht mehr in die Schule zu geben. Ich möchte nur aufzeigen, wie Lernen von Natur aus gedacht ist, welche Möglichkeiten es gibt und dass die Institution Schule nicht die einzige Möglichkeit ist, um etwas zu erlernen, inklusive lesen, schreiben und rechnen.

Das kann ich am Beispiel meiner eigenen Tochter bestätigen, die im Alter von etwa vier Jahren unbedingt schreiben lernen wollte. Sie bat mich, ihr die alte Schreibmaschine auf den Tisch zu stellen und ihr auf einem Blatt Papier Wörter aufzuschreiben, deren Buchstaben sie nachtippen wollte. SIE sagte mir auch, welche Wörter sie vorgeschrieben haben wollte. Nicht „Mama“ oder „Papa“, nein, Wörter wie „Schneewittchen“, „Dornröschen“,…mussten es sein. Nachdem sie lange genug nachgetippt hatte, begann sie von selbst, die Wörter auf dem Papier nachzuschreiben. So lernte sie völlig spielerisch gleichzeitig lesen und schreiben und las ab dem Alter von ca. fünf Jahren Bücher, zuerst solche mit vielen Bildern und weniger Schrift, ein paar Monate später Bücher z.B. von Christine Nöstlinger, wo immerhin jede zweite Seite vollständig mit Schrift ausgefüllt war. Ich, als Erwachsener, wäre nie auf die Idee gekommen, einem Kind mit Hilfe einer Schreibmaschine lesen und schreiben beizubringen. Kinder finden für sich selbst immer den besten Weg, um zu lernen, wenn sie sich wirklich für etwas interessieren. Wir dürfen sie dabei begleiten und staunen. Aber: Jedes Kind lernt anders. War für meine Tochter die Methode mit der Schreibmaschine ideal, kann es für ein anderes Kind ganz anders funktionieren.

André, der sich von klein auf eingehend mit Mathematik und Technik beschäftigte, begann z.B. übers Dividieren rechnen zu lernen. Kein Erwachsener bzw. Lehrer käme auf diese Idee, da es viel zu schwierig erscheint. Jedoch sieht man auch hier: Jedes Kind ist anders.

Als er begann, sich für Fremdsprachen zu interessieren, probierte er mehrere Methoden des Sprachenlernens aus, bis er die für ihn passendste gefunden hat.

Da André sehr viel Zeit hatte und Stress nicht kannte, beschäftigte er sich, wie schon gesagt, sehr intensiv mit den für ihn interessanten Dingen. So baute er sich z.B. selbst einen Fotoapparat aus Holz und konnte damit sogar einige Bilder machen.

André hatte die Möglichkeit, ganz nach seinem Biorhythmus zu leben. Er konnte zu „seiner“ Zeit aufstehen, frühstücken und sich dann in seine bevorzugte Tätigkeit vertiefen.

Da es kaum Reibungspunkte gab, blieb auch das Verhältnis zu seinen Eltern immer sehr gut. Nicht wenige Reibungspunkte ergeben sich normalerweise doch wegen Schulproblemen, dem „Nicht- lernen -wollen“ oder „Keine- Hausübung- machen- wollen“, dem Notendruck usw.

Interessant war für mich noch, dass André sich erst relativ spät dem Lesen und Schreiben zuwandte. Seine Eltern vertrauten jedoch darauf, dass für ihn auch in diesem Bereich der richtige Zeitpunkt kommen würde. Und so war es dann auch.

Dieses Buch enthält kein Patentrezept, sondern einfach die persönliche Geschichte eines Kindes, das ungestört seine Talente entdecken und entfalten konnte, um schließlich zu dem umfassend gebildeten, kreativen, erfolgreichen Menschen heranzuwachsen, der André Stern heute ist: Musiker, Komponist, Gitarrenbaumeister, Journalist und Autor.

Nicht Wissen ansammeln ist in der Schule des 21.Jahrhunderts das Wichtigste, sondern die Tatsache, dass den Kindern die Freude am lebenslangen Lernen erhalten bleibt, die Freude am Entdecken und Gestalten. Dies kann gar nicht oft genug betont werden.

Jedoch: Nur wenn das Kind entspannt ist, kann es Neues aufnehmen. Leistungsdruck, Angst vor Mobbing in der Pause,…verhindern Entspannung und inneren Frieden und kosten Kraft und Energie, ganz besonders den hochsensiblen Kindern.

Ich denke, in Kooperation mit anderen Eltern und Lehrern kann man auch in der Schule des 21.Jahrhunderts neue Wege einschlagen, die letztlich dem Wohle aller dienen. Auch die Lehrer wünschen sich ein harmonisches und freudvolles Arbeiten und wären weniger ausgelaugt, wenn rundum mehr Zufriedenheit herrschen würde. Denn auch sie stehen sehr oft unter Druck.

 

André: „Das Lernen hört nie auf. Ein lebendiges und frei erworbenes Wissen erlischt oder erstarrt nicht. Ich habe nichts von dem vergessen, was ich so energisch erlernt habe.

Ich bin froh, dass ich mit manchen Wissensgebieten erst in Kontakt kam, als ich die nötige Reife hatte, um sie in all ihren Dimensionen erfassen und wirklich mögen zu können.“